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„Automatisiertes Fahren kann nur einem Zweck dienen: das Fahren sicherer und komfortabler zu machen.“
Thu Apr 08 10:30:00 CEST 2021 Pressemeldung
Dr. Nicolai Martin leitet ein spannendes und zugleich hochkomplexes Innovationsfeld bei der BMW Group: den Bereich Entwicklung Automatisiertes Fahren. Ihn beschäftigen Fragestellungen wie: Welcher Grad an Automatisierung ist sinnvoll? Was bringt die Zukunft der Automatisierung den Kunden wirklich? 8 Fragen an Dr. Nicolai Martin, Bereichsleiter Entwicklung Automatisiertes Fahren BMW Group.
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Michael Ebner
BMW Group
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Author.
Michael Ebner
BMW Group
Dr. Nicolai Martin leitet ein spannendes und zugleich hochkomplexes
Innovationsfeld bei der BMW Group: den Bereich Entwicklung
Automatisiertes Fahren. Ihn beschäftigen Fragestellungen wie: Welcher
Grad an Automatisierung ist sinnvoll? Was bringt die Zukunft der
Automatisierung den Kunden wirklich? Und vor allem: Welchen Weg geht
BMW beim Automatisierten Fahren? Ein Gespräch, das Einblicke gewährt,
aktuelle Entwicklungen aufzeigt und Zukunftsideen skizziert.
1. Herr Martin, Sie sind Ingenieur aus Leidenschaft. Was
treibt Sie an?
Mir macht es Freude, den Dingen auf den Grund zu
gehen und sie zu verstehen. Zwar war Leistungssport – konkret das
Windsurfen – bis hinauf zu olympischer Ebene eine echte Berufsoption,
aber am Ende hat doch das Wirtschaftsingenieurswesen und die
Fahrzeugtechnik das Rennen gemacht.
Mich begeistern Herausforderungen und Fragestellungen, in die
man sich einarbeiten muss – die komplex sind und zugleich eine
gesellschaftliche Relevanz haben. Denn am Ende möchte ich reale,
relevante Probleme nachhaltig lösen und Fortschritt vorantreiben. Und
ich habe das Glück, mit einem großartigen Team an einer der
relevantesten Aufgabenstellungen für die Zukunft automobiler Mobilität
zu arbeiten: dem Automatisierten Fahren.
Einerseits treiben wir die Entwicklung innovativer Technologien
aktiv voran und forschen mit nahezu akademischem Anspruch. Auf der
anderen Seite prüfen wir genau, welche Anwendungsmöglichkeiten wir
tatsächlich realisieren, um damit Kunden weltweit einen Mehrwert zu
bieten. Denn letztendlich wollen wir in erster Linie unsere Kunden
begeistern. Das ist eine spannende und nicht immer einfache Balance.
2. Welchen Mehrwert bietet ein automatisiert fahrendes Fahrzeug?
Automatisierung bringt grundsätzlich einen Gewinn an
Komfort und Sicherheit. Denn das System fährt konstant, man selbst
eher nicht. Diese Unterstützung, teilweise sogar Entlastung, schätzen
unsere Kunden. Wir sehen beispielsweise, dass jene Fahrer in Europa,
die unseren Driving Assistant Professional im Fahrzeug haben, bereits
ca. 50 Prozent der Fahrzeit mit der aktiven Längsführungsfunktion
fahren. Bei der Querführung sind es immerhin aktuell 30 Prozent der
Fahrzeit. Ermittelt aus 120 Mio. gefahrener Kilometer unserer
Kundenflotten. Das ist viel. Wir ziehen daraus den Schluss, eine
Funktion geschaffen zu haben, die einen realen Mehrwert bietet. Im
Allgemeinen werden unsere Systeme weltweit hervorragend angenommen und
machen gleichzeitig das Fahren schon heute nachweislich sicherer.
3. Welche Rolle spielt zukünftig Automatisiertes Fahren im
Kontext individueller Mobilität?
In Zukunft wird die Intelligenz eines Fahrzeugs immer
wichtiger. Die Automatisierung der Fahraufgabe nimmt darin einen
maßgeblichen Platz ein. Was im Kleinen etwa mit der Automatisierung
der Lichtfunktionen begonnen hat, umfasst heute schon die assistierte
Längs- und Querführung des Fahrzeugs. Wenn Sie beispielsweise von
München in die Toskana in den Urlaub fahren, nimmt Ihnen das System
nicht nur das Ein- und Ausschalten des Lichts bei zahlreichen
Tunneldurchfahrten ab, sondern auch die konstante Einhaltung von
Geschwindigkeitsvorgaben oder den Abstand zum vorausfahrenden
Fahrzeug. Wenn wir weiter gehen und das Fahrzeug mit den Möglichkeiten
von Konnektivität und dem semantischen Wissen des Fahrers ergänzen,
wird es mehr und mehr zum intelligenten Begleiter oder gar Freund, das
den Fahrer unterstützt und somit begeistert. Das bauen wir Stück für
Stück weiter aus.
4. Wo steht BMW beim Automatisierten Fahren?
Aktuell haben wir bereits rund 40
Fahrerassistenz-Funktionen auf der Straße, die zu den besten im Markt
zählen. Diese umfassen den Fernlichtassistenten ebenso wie die
Rückfahrkamera oder den intelligenten Abstandstempomaten mit Quer- und
Längsführung inklusive Ampelerkennung. Im Bereich aktiver Sicherheit
bilden unsere Fahrerassistenzsysteme die Basis für das höchste
NCAP-Rating (5 Sterne) und die Top-Ausstattung mit dem Driving
Assistant Professional wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Kurz
gesagt: Wir bauen unsere Level 2-Funktionen
konsequent weiter aus. Sie sind nahezu allverfügbar und unterstützen
beziehungsweise nutzen dem Kunden bereits heute beim Fahren und
Parken. Je nach regionaler Gesetzgebung können sie sich in der
Ausprägung oder Verfügbarkeit unterscheiden. So bieten wir in den USA
und China eine „Hands-Off“-Option an, in der der Fahrer die Hände (bis
60 km/h) vom Lenkrad nehmen kann, die Fahrsituation jedoch weiterhin
beobachten muss und in der Verantwortung ist. Die Funktion bricht nach
mehreren Warnsignalen dann ab, wenn der Fahrer nicht mehr aufmerksam ist.
5. Und wann bringt BMW nun Level 3 auf den Markt?
Neben der Weiterentwicklung unserer
Fahrerassistenzfunktionen (Level 2) arbeiten wir parallel intensiv an
der Befähigung unserer Fahrzeuge für hochautomatisiertes Fahren, das
heißt Level 3, und sind hier auf einem sehr guten
Weg. Bereits heute übernehmen unsere automatisierten
Assistenzfunktionen in vielen Situationen große Teile der Fahr- und
Parkaufgabe. Der Fahrer muss allerdings nach wie vor die Umgebung
beobachten und hat stets die volle Verantwortung für die Fahraufgabe.
Mit „Remote Control Parking“ haben wir das fahrerlose Parken des
Fahrzeugs heute bereits realisiert, doch muss auch hier der Fahrer das
Fahrzeug und dessen Umgebung per Smartphone beziehungsweise Schlüssel
überwachen und ist in der Verantwortung. Damit rückt das Thema
Level 4 im Bereich Parken, also beispielsweise,
dass sich das Fahrzeug in einem Parkhaus einen Parkplatz selbst sucht
und parkt, in greifbare Nähe.
Eine Level 3-Funktion – das heißt: wenn die Verantwortung vom
Menschen auf die Maschine übertragen wird – werden wir in unseren
Fahrzeugen erst anbieten, wenn diese absolut sicher ist und einen
Mehrwert bietet. Das System muss in Extremsituationen – sogenannten
„corner cases“ – sicher reagieren. Das ist unser Anspruch.
6. Unterscheidet sich Ihr Ansatz im Wettbewerbsumfeld, das
heißt gibt es einen „BMW Weg“ des Automatisierten Fahrens?
Wir entwickeln Automatisiertes Fahren mit einem
klaren Ziel: Unseren Kunden ein Mehr an Sicherheit und Komfort zu
bieten. Für die BMW Group ist die Technologie vor allem ein Befähiger,
um unseren Kunden durch automatisierte Fahr- und Parkfunktionen ein
positives und emotionales Erlebnis zu ermöglichen. Denn das steht klar
im Vordergrund. Gleichzeitig soll die Technik zu keiner Zeit
bevormunden. Die richtige Balance aus Sicherheit für alle und Mehrwert
für den Einzelnen ist uns wichtig.
In meinen Augen steht BMW in Zukunft für die bestmögliche
Verbindung der Welt des Automatisierten Fahrens, bei uns „Ease“
genannt, mit der Freude am Selbstfahren, kurz: „Boost“. Jeder Kunde
soll selbst entscheiden können, ob er dynamischen Fahrspaß durch
Selbstfahren erleben will oder in bestimmten belastenden oder
freudlosen Fahrsituationen wie dem Stau, Stop & Go Verkehr oder
Parken, lieber das Fahren abgibt und die eigene Zeit anders nutzt.
Dabei wird ein BMW seinen Fahrer stets optimal unterstützen und
begleiten. Durch meine frühere Aufgabe im Unternehmen, der Entwicklung
von aktiver Fahrdynamik, kenne ich beide Pole sehr gut und durfte
deren Grenzen ausloten und erleben. Für mich ist daher klar, dass
beide Dimensionen in Zukunft einen BMW ausmachen werden.
7. Was können wir vom vollelektrischen BMW iX an
automatisierten Funktionen erwarten?
Der BMW iX ist das erste Fahrzeug der BMW Group, das
automatisierte Fahr- und Parkfunktionen aus einem neuen
Technologiebaukasten bieten wird. Dieser Baukasten ermöglicht eine
kontinuierliche Verbesserung und Erweiterung der
Fahrerassistenzfunktionen und mittelfristig hochautomatisiertes Fahren
(Level 3). Er wird weiter ausgerollt und beispielsweise in der
nächsten Generation der BMW 7er und BMW 5er Baureihe eingesetzt.
BMW iX schaffen wir zudem einen echten Kundenmehrwert, indem wir
einzelne automatisierte Assistenzfunktionen intelligent und im
Hinblick auf relevante Fahrsituationen zusammenfassen. Durch das neue
BMW Operating System 8, lassen sich unsere Fahrerassistenzfunktionen
noch einfacher bedienen. Gleichzeitig haben wir die Steuerung auf das
Wesentliche reduziert. So stellen wir sicher, dass der Fahrer schnell
den optimalen Grad der Unterstützung aktivieren kann. Uns geht es um
die gesamthafte und intelligente Automatisierung, um die Vereinfachung
der Systemzustände und eine intuitive Bedienung. Eine erkennbare Folge
der Vereinfachung ist zum Beispiel die Reduzierung der Tasten am Multifunktionslenkrad.
Tatsächlich hat die Realität bzw. Komplexität viele Ambitionen
hinsichtlich höherer Automatisierungsstufen bzw. deren Marktreife und
Marktverfügbarkeit eingeholt. Denn nur weil ein Fahrzeug Level 3-fähig
ist, heißt es noch lange nicht, dass es auch überall Level
3-automatisiert fahren darf bzw. kann. Vielmehr ist dies aktuell nur
auf ganz wenigen Strecken und unter hochspezifischen Bedingungen
erlaubt. Wir wägen daher bewusst ab, wann der richtige Zeitpunkt ist,
denn wir wollen nur relevante und vor allem absolut sichere Funktionen
anbieten. Das heißt, hier haben auch wir unsere Ambitionen kritisch
hinterfragt und arbeiten nun in einem neu ausgerichteten Fahrplan
fokussiert weiter.
8. Ein entscheidender Punkt beim Automatisierten Fahren ist
die Akzeptanz bei Fahrer/innen, diese zu nutzen. Wie schaffen Sie das?
Die Akzeptanz ist, je nach Region, durchaus
unterschiedlich. Wir bemühen uns hier sehr, das Vertrauen der Kunden
zu gewinnen, indem sie sich im Verhalten des Fahrzeugs wiedererkennen.
Dabei hat Sicherheit für uns immer oberste Priorität. Entsprechend
prägen wir das System eher defensiv aus, sodass kein Kunde von einem
zu forschen Fahrverhalten überrascht wird. Auch ein schlüssiges
Anzeige-Bedien-Konzept ist hier wichtig: Wie vermitteln wir dem Kunden
beispielsweise gut sichtbar, dass der Sensor das Fahrzeug vor einem
erfasst hat und die Funktion aktiv ist? Vielleicht hilft es in Zukunft
sogar, den einen oder anderen Sensor bewusst zu inszenieren, statt sie
wie heute eher zu verstecken. Aber das ist nur eine von vielen
Facetten. Wie gesagt, wir arbeiten hier an einem der spannendsten
Bereiche der Automobilindustrie.
Herzlichen Dank für das Gespräch.